Von der Klimajugend in den Einwohnerrat

Ema Savic ist erst 18. Für die Grünen wird sie ab Januar im Einwohnerrat Wettingens sitzen. Ein Gespräch mit der Stimme einer neuen Generation.

4 min readNov 3, 2021

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Sie haben den Kopf in den Wolken! Komplett utopistisch und naiv! Gleichzeitig bei den kleinsten Dingen sofort übertrieben emotional! Wer mit 18 nicht links ist, hat kein Herz, wer es mit 40 noch ist, hat kein Hirn!

So tönt es, wenn, so würde sie Ema Savics Generation nennen, Boomer über die Jungen zetern, wenn sie an Klimaaktivistinnen und -aktivisten herumnörgeln, wenn sie maulen, wenn jemand, der noch viel Lebenszeit vor sich hat, erpicht radikale Lösungen fordert als Teil einer Generation, die keine Nerven mehr hat für inkrementelles Rumgetrödel — und das wissenschaftlich begründen kann.

Würden aber eben jene Zänker mit diesen Vorurteilen Ema Savic begegnen, müssten sie ihr Bild dieser Generation revidieren. Ema Savic ist gerade einmal 18 und trotzdem in den Einwohnerrat gewählt worden. Somit wird sie im Januar die jüngste Parlamentarierin Wettingens werden. Doch der Karikatur der Jugend entspricht die Kantischülerin keineswegs. Wenn, dann ist sie vielleicht sogar deren Antithese.

Nervosität und Verantwortung

Es ist ein goldener Herbstnachmittag, die Schule ist gerade zu Ende gegangen. Ema Savic sitzt auf einer Steinbank vor der Kanti Baden. Hin und wieder grüsst sie Mitschüler, die vorbeilaufen. Sie spricht überlegt, fast vorsichtig, mit einem Hauch Schüchternheit. Es fallen, typisch für eine multikulturelle und digitalisierte Generation, viele englische Wörter und Phrasen mit makellosem amerikanischem Akzent.

«Es ist ein schönes Gefühl, zu wissen, dass ich jetzt aktiv etwas verändern und mitreden kann, darauf freue ich mich sehr», sagt Ema Savic über ihren Wahlerfolg, aber auch eine grosse Verantwortung sei es. Damit gerechnet hat sie — trotz Listenplatz 1 — nicht, «das war wirklich eine Überraschung, ich bin ja nicht so bekannt in Wettingen». Die Idee, sie und ihren Kollegen Thomas Ruckli als Speerspitzen auf die vordersten Listenplätze zu setzen, war jene von WettiGrüen-Einwohnerrat Leo Scherer, «weil wir die Klimajugend repräsentieren», sagt Savic. «Ich war ziemlich nervös, so exponiert war ich noch nie».

«Ich war ziemlich nervös, so exponiert war ich noch nie.»

Zum ersten Mal im Einwohnerrat sass sie im September anlässlich der Mündigkeitsfeier — sie wurde erst Ende Juli 18 –, das Hauptthema war der abgeschmetterte Bez-Neubau, «ehrlich interessant» habe sie das gefunden. Mittlerweile wurde sie offiziell zu den Sitzungen der Fraktion SP/WettiGrüen eingeladen und erhält so einen ersten Einblick in ihre zukünftige Tätigkeit — «eher ein Job, kein Hobby», wie sie dazu sagt.

«Das klassische unnachhaltige Billigproduzieren ist halt nicht linke Politik.»

Auch trifft sie sich mit anderen jungen Parlamentariern ihrer kantonalen Sektion und man helfe sich gegenseitig. Konkrete Anliegen, die sie mit einem Vorstoss angehen will, hat Ema Savic noch keine, aber sie erwähnt zum Beispiel das Abstellen der Strassenlampen nach zwei Uhr nachts — ein Anliegen, über das der Einwohnerrat vor ein paar Jahren schon einmal debattiert hat. Sie aber erwähnt Bewegungssensoren als Umsetzungsmöglichkeit. Dass das kostet und Wettingen notorisch für Sparpolitik ist, weiss Savic, sagt aber nonchalant: «Das klassische unnachhaltige Billigproduzieren ist halt nicht linke Politik.»

Im Altherrenclub

Der Einwohnerrat ist tendenziell immer noch ein Club älterer Männer und oft geht es nicht besonders harmonisch zu und her. Darauf angesprochen, wie sie dem entgegenblickt, sagt Ema Savic: «Es wird bestimmt nicht 100 Prozent ‹smooth› sein. Ich weiss nicht, wie die Leute darauf reagieren, dass ich jung, links und, ja», sie pausiert für einen kleinen Moment, «weiblich bin», setzt sie fort. «Ich werde mich einfach durchsetzen können müssen, ich muss zeigen, dass ich diese Rolle wirklich ernst nehme.»

«Es wird bestimmt nicht 100 Prozent ‹smooth› sein.»

Auf Streitereien habe sie keine Lust, «ich bin pazifistisch, kompromissbereit und suche gerne Lösungen, ich mag keinen grundlosen Konflikt». Aber auch da habe sie ihre Grenzen, mit Rassisten und «Climate-Change-Deniers» zu reden, müsse beispielsweise nicht sein. «Mental strength» brauche sie dann bestimmt.

Eltern vegan, sie «nur» vegetarisch

Einen präzisen Moment, indem sie politisiert worden ist, gebe es nicht, sagt Ema Savic. Aber sie ist in einer grün orientierten Familie aufgewachsen — ihr Vater ist Gründer einer Firma von erneuerbaren Energiesystemen, beide Eltern vegan, sie hingegen «nur» Vegetarierin. Ein Umfeld, offen für politische Diskussion. «Zum Beispiel über die Brexit-Abstimmung haben wir damals diskutiert», erinnert sich Savic. Das war 2016, sie somit erst 12, 13 Jahre jung.

Dann kamen der Klimastreik und das Engagement bei den jungen Grünen. Über das Projekt «engage», bei dem Junge ihre Anliegen für die Gemeinde einbringen können, habe die Ortspartei sie schliesslich entdeckt und für eine Kandidatur angefragt.

«Es ist ein tolles Gefühl, mit meinen Freunden für etwas zu demonstrieren, das uns wichtig ist.»

«Es ist ein tolles Gefühl, mit meinen Freunden für etwas zu demonstrieren, das uns wichtig ist», sagt Savic über ihr Engagement. Für die Kritik an jungen Aktivisten habe sie indes nur wenig übrig, «schliesslich geht es um uns, um unsere Zukunft, da darf man auch mal laut sein». Aber: «Nicht alle Jungen sind links», sagt Savic über ein weiteres Vorurteil gegenüber der Gen Z, das mancherorts reproduziert wird. «Wir haben auch in der Klasse politische Diskussionen und Meinungsunterschiede. Darüber zu reden, hilft einem, sich persönlich weiterzuentwickeln.» Grundsätzlich gehe sie gerne in die Schule, die dritte Bez habe sie übersprungen und habe an die Kanti gewechselt. «Ich habe sehr gerne Naturwissenschaften, aber auch Fächer, in denen wir viele Diskussionen führen.» Chemie und Biologie sind ihre Schwerpunktfächer, Mathematik das Ergänzungsfach. Sie will einmal Medizin studieren oder vielleicht Physik oder Mathematik. Harte Fächer. Savic lacht. «Ich bin nicht der klassische Strebertyp, der stundenlang lernt», viel mache sie noch neben der Schule, Sport — Tennis, Ski — zum Beispiel. «Das, was ich lerne, interessiert mich und ich mache viel im Unterricht, dann braucht es zuhause nicht mehr so viel Zeit.»

Bei mehreren Einwohnerratssitzungen pro Jahr, die manchmal Stunden um Stunden dauern, ist das wohl eine gute Voraussetzung.

*Dieser Artikel ist zuerst im Regionalanzeiger Limmatwelle erschienen.

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Robin Adrien Schwarz
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Written by Robin Adrien Schwarz

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