Herr Fröhlich von der Prüfstelle B und der Terror der Bürokratie
Das Kunstmuseum Langmatt in Baden (AG) stellt 140 Collagen der Schriftstellerin Herta Müller aus. Ein Besuch.
Hoher Besuch in der Langmatt: Seit dem 5. September stellt das Kunstmuseum in Baden 157 Collagen der deutsch-rumänischen Schriftstellerin Herta Müller aus.
Ein Glücksfall für das Museum, wie auch Kurator Markus Stegmann findet. Stegmann, der sich seit bereits 30 Jahren mit dem Werk Herta Müllers beschäftigt, die 2009 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, hat eine Lesung besucht, an der Müller einige ihrer Collagen — es sind mittlerweile über 1600 Unikate — vorgetragen hatte.
Beeindruckt davon, nahm er sich vor, abzuklären, ob eine Ausstellung in Baden für Herta Müller in Frage käme. «Anklopfen kostet nichts», sagt Stegmann, sich der geringen Chance bewusst, eine Nobelpreisträgerin in der Langmatt ausstellen zu können. Tatsächlich sei das ganze Prozedere dann äusserst unkompliziert abgelaufen, sagt Stegmann.
Bei der Ausstellung «Der Beamte sagte» handelt es sich um fein säuberlich aus Magazinen, Zeitungen, Zeitschriften — selten hat dieses Wort besser gepasst — ausgeschnittene Wörter und Buchstaben, mit denen Müller eine Art Erzählung, wohl aber eher ein assoziatives, thematisch zusammenhängendes, narratives Gewebe «schreibt» — und somit direkt eine erste, in der Literaturwissenschaft viel diskutierte Frage stellt: Was ist Schreiben eigentlich?
Denn tatsächlich klingen die kurzen lyrischen Vignetten fast wie aus Herta Müllers Romanen, ob «Herztier», ob «Atemschaukel», ausgeschnitten. Diese Frage kann nicht beantwortet werden, ohne sich auch die Frage zu stellen, wo das Schreiben beginnt, wo es aufhört und wie es sich von anderen Formen des Ausdrucks unterscheidet.
An der Schnittstelle zwischen bildender Kunst und Literatur
Dass es darauf keine einfachen Antworten gibt, ist auch Markus Stegmann klar, denn es ist ungewöhnlich, dass ein Kunstmuseum Werke einer Literatin ausstellt: «Wir sind kein Literaturmuseum, aber wir sind auch kein klassisches Kunstmuseum.» Für ihn stehe jedoch ausser Frage, dass sich das Werk Müllers zur bildenden Kunst zählen lässt. «Jedes Wort ist ein kleines künstlerisches Mosaiksteinchen, es ist eben nicht nur ein Wort, das etwas bezeichnet, sondern auch ein kleines, visuelles Zeichen», erklärt Stegmann. «Ich interessiere mich für Gattungen, die sich berühren oder wechselseitig durchdringen, weil das etwas mit unserer Zeit zu tun hat.» Heute fliessen verschiedene Kunstformen ineinander, berühren sich, beeinflussen sich gegenseitig. Die Zeiten strenger Unterscheidungen sind vorbei. «Dafür ist Herta Müller ein schönes Beispiel», sagt Stegmann.
In «Der Beamte sagte» berichtet Herta Müller, Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien, von ihrer Ankunft in Deutschland und den Befragungen im Auffanglager in Nürnberg, die sie durchmachen musste.
Zuvor lebte sie unter der dem Regime des Diktators Nicolae Ceaușescu und man warf ihr jahrelang vor, eine Agentin des Bundesnachrichtendiensts zu sein. Nach der Ankunft in eben jener Bundesrepublik, für die sie angeblich spioniere, verdächtigte man sie im Auffanglager wiederum, eine Agentin des rumänischen Geheimdienstes, der Securitate, zu sein.
«Ich bin damals fast zerbrochen», sagte die Schriftstellerin kürzlich gegenüber dem Magazin «AAKU».
Ein Wort: kafkaesk. So inhaltlich nah sie Kafka in gewisser Weise ist, so wirkt das Werk Müllers ganz anders. Leichtfüssig, fast federleicht, nicht bleiern. Manchmal schelmisch — oder kindlich? Naiv? –, manchmal mit bodenlosem Schrecken im Unterton, manchmal träumend, sinnierend, manchmal mit klar erkennbarer Sehnsucht, dem ganzen Irrsinn auch nur für einen Moment entfliehen zu können, schildert Herta Müller die abstrusen Befragungen durch den passend unpassend benannten Beamten Herr Fröhlich von der Prüfstelle B.
Dazwischen Sequenzen aus dem Leben im Auffanglager, hin und wieder Albtraumbilder oder auch Gespräche mit anderen oft traurigen, bisweilen auch enigmatischen und dreisten Figuren.
Von Sprachgewalt und «Sprachgewalt»
Man ist versucht, Herta Müllers «Sprachgewalt» zu erwähnen, aber damit würde man sich eine sprachliche Unsauberkeit erlauben und die politische und poetologische Dimension des Werks von Herta Müller verkennen: Die Sprache Herta Müllers ist oft leise, aber nicht zaghaft, von grosser Zärtlichkeit, Fragilität und, bei aller Düsternis, stets von grosser Wärme und Menschlichkeit durchflutet. «Das macht den Schrecken umso dringlicher, fürchterlicher unfassbarer», kommentiert Markus Stegmann. Herta Müller demonstriert immer wieder, wie sehr Sprache ein Herrschaftswerkzeug ist, also ein Werkzeug, mit dem andere Menschen beherrscht werden und auch werden sollen — etwa in der Bürokratie, die sich stets neutral und ideologiebefreit gibt, es aber niemals ist und die eigenen Hände nicht in tatsächlicher Unschuld, sondern im Desinfektionsmittel ihres eigenen Vokabulars und ihrer eigenen Floskeln wäscht. So banal, wie das Böse eben ist. Markus Stegmann spricht von der «grossen Leere im Raum, die die existenzielle Einsamkeit in den Arbeiten verstärkt».
Die 140 postkartengrossen Collagen von Herta Müller wirken tatsächlich winzig und alleine in der Gemäldegalerie. Zeitgleich scheint die Leere einerseits eine Aufforderung zu sein, sich auf die Collagen einzulassen, sie in ihrer Kleinheit zu erfassen und sie mit derselben Sorgfalt zu betrachten, mit der Müller schreibt. Andererseits wirken die strenge Anordnung im Raum, die grauen Rahmen auf den ersten Blick fast bürokratisch. Die Horizontlinie der Bilder befindet sich auf einer Höhe, «als habe man den Kopf knapp über oder knapp unter Wasser», erzählt Stegmann am Eröffnungstag der Ausstellung. Herta Müller konnte daran krankheitsbedingt leider nicht teilnehmen. Möchte man Herta Müller live sehen, kann man das an einer Lesung samt Gespräch mit Markus Stegmann am 30. September.
Zur Ausstellung in der Langmatt
Die Ausstellung «Der Beamte sagte» im Museum Langmatt findet noch bis und mit 5. Dezember zu den üblichen Öffnungszeiten statt. Informationen zu Spezialveranstaltungen zur Ausstellung auf www.langmatt.ch.
*Dieser Artikel erschien zuerst im Regionalanzeiger Limmatwelle.